Patient Care

Siegen als Vorreiter: Pflegebedarfserfassung leicht gemacht

Pflegende bei der Dokumentation am PC

PPR 2.0: AUTOMATISIERTE EINSTUFUNG

Die Pflegepersonalregelung PPR 2.0 ist komplex, gesetzlich verpflichtend und erfordert eine tägliche Dokumentation der Pflegeaufwände. Um den Pflegebedarf effizient zu erfassen, integrierte das St. Marien-Krankenhaus Siegen ein PPR-Modul in seine digitale Patientenakte RECOM-GRIPS. Dieses ermittelt den Pflegebedarf der Patient*innen präzise und automatisiert. Das Personal wird entlastet.

Seit Juli 2024 ist die Pflegepersonalregelung PPR 2.0 verbindlich. Krankenhäuser sind damit verpflichtet, den Pflegebedarf ihrer Patient*innen täglich in 16 Aufwandsgruppen zu kategorisieren. Diese umfassen sowohl allgemeine Pflege (A) als auch spezielle Pflege (S) und werden mit Werten von 1 (leichte Pflege) bis 4 (intensive Pflege) bewertet. Was zunächst wie eine Formalität erscheint, verursacht in der Praxis erheblichen Aufwand. „Die manuelle Einstufung der Pflegeaufwandsgruppen dauert sechs bis acht Minuten pro Patient*in. Bei Stationen mit 40 Betten summiert sich das auf bis zu fünf Stunden täglich“, erklärt Susanne Berghäuser, Teamleitung Projekt- und Applikationsmanagement der Marien Gesellschaft Siegen. Hinzu kommt, dass die manuelle Einstufung selbst bei Kenntnis der Patientendaten stark von den subjektiven Einschätzungen der Pflegekräfte abhängt. „Das entspricht nicht den Anforderungen der PPR 2.0, die eine präzise und nachvollziehbare Erhebung vorschreibt“, so Berghäuser.

St. Marien-Krankenhaus Siegen

Das St. Marien-Krankenhaus Siegen ist mit über 1 300 Beschäftigten die größte und bedeutendste Einrichtung der Marien Gesellschaft Siegen, einem integrierten Gesundheitsunternehmen, das unter anderem auch Seniorenzentren betreibt. Jährlich werden in den 11 Kliniken und Instituten des Krankenhauses rund 20000 Patient*innen stationär und etwa 60000 Menschen ambulant betreut – eine umfassende medizinische Versorgung für die Region Siegerland.

Entlastung durch Automatisierung

Um die Anforderungen der PPR 2.0 effizient zu bewältigen, entschied sich das St. Marien-Krankenhaus, die digitale Patientenakte RECOM-GRIPS um ein spezielles PPR-Modul zu erweitern. RECOM-GRIPS war bereits kurz vor Inkrafttreten der neuen Regelung erfolgreich in Siegen eingeführt worden. „Es erschien uns sinnvoll, den wertvollen Datenschatz aus der digitalen Akte für eine solche Lösung zu nutzen“, sagt Berghäuser. Ziel war es, den Prozess der Pflegebedarfserfassung zu automatisieren und das Pflegepersonal zu entlasten.

Simon Berger, Senior Director Products & Projects bei Thieme RECOM, beschreibt das technische Vorgehen bei der Entwicklung des Moduls: „Unser wissenschaftliches Team hat gemeinsam mit dem Produktmanagement ein Formel-Framework entworfen, das die dokumentierten Patientendaten analysiert und den Kriterien der PPR 2.0 zuordnet. Dabei werden Daten aus der Medikation, Wunddokumentation, Lagerungsplänen und anderen Quellen ausgewertet, um die Pflegeaufwandsgruppen abzuleiten. Das System zeigt den Anwender*innen transparent an, welche Faktoren zu den jeweiligen Werten geführt haben. Durch den wissenschaftlich fundierten Algorithmus ist das Krankenhaus außerdem auf externe Kontrollen bestens vorbereitet und vermeidet mögliche Sanktionen.“

Eine zentrale Aufgabe war die Integration von IST- und SOLL-Analysen in das Modul. Für die Ermittlung der PPR 2.0 sind nicht nur die erbrachten Leistungen relevant, sondern auch die geplante Pflege, um so eine Gesamtbedarfsermittlung zu erhalten. „Das Modul hilft mit anschaulichen Darstellungen, den Pflegebedarf zu bewerten, die Ressourcen optimal einzusetzen und Über- oder Unterbesetzungen zu vermeiden“, erklärt Berger. Darüber hinaus ermöglicht es die direkte Weitergabe der Daten an das Controlling, wo sie für die Budgetplanung verwendet und an externe Stellen wie das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) übermittelt werden können.

Vorteile des PPR-Moduls in der Praxis

Seit Ende September 2024 berechnet das Modul auf allen Stationen täglich um 20:45 Uhr die Pflegebedarfswerte der Patient*innen. Die Beteiligten profitieren in mehrfacher Hinsicht:

•Zeit- und Komplexitätsreduktion: Pflegekräfte müssen keine komplexen Patientenanalysen mehr durchführen. Stattdessen werden die Vorschläge nur noch validiert und bei Bedarf angepasst.

•Prüfsicherheit: Dank des klaren, wissenschaftlich fundierten Algorithmus ist das Krankenhaus ideal auf externe Kontrollen vorbereitet und vermeidet mögliche Sanktionen.

•Optimierte Personalplanung: Exakte PPR-Daten erleichtern die Planung und verhindern Über- oder Unterbesetzungen.

•Nahtlose Weitergabe: Die Ergebnisse werden fehlerfrei und effizient über Schnittstellen direkt ans Controlling zur Budgetplanung übermittelt und von dort an externe Stellen wie das InEK.

Skepsis und technische Hürden überwunden

Die Befürchtungen der Pflegekräfte, dass sich die Dokumentation mit dem Tool noch zeitaufwändiger und komplexer gestalten würde, konnten in Schulungen ausgeräumt werden. Berghäuser erklärt: „Wir können mithilfe des Moduls die rechtlichen Vorgaben umsetzen, den Pflegedarf präzise ermitteln und unser Pflegebudget sichern, ohne die Kolleg*innen zusätzlich zu belasten. Die Bedienung ist einfach – wenige Klicks und eine kurze Validierung durch die Pflegekraft genügen. Diese Validierung ist rechtlich vorgeschrieben und ermöglicht eine manuelle Anpassung der vorgeschlagenen Einstufung. Nimmt die Pflegekraft eine Anpassung des vorgeschlagenen Wertes vor, muss dies in einem verpflichtenden Kommentarfeld begründet werden. 

Die Pilotphase im September 2024, die im gesamten Krankenhaus durchgeführt wurde, verlief in enger Abstimmung des Projektteams bei Thieme RECOM mit der Mariengesellschaft. Anfangs gab es Herausforderungen bei der Datenverarbeitung: Inkonsistente Dokumentationen wie doppelte Patientenaufnahmen oder unvollständige Infusionsprotokolle führten zu Systemfehlern. Diese Aspekte wurden identifiziert und bereinigt. Dadurch trägt das Modul auch zur Verbesserung der Datenqualität in der digitalen Patientenakte bei.


Portrait Susanne Berghäuser, Marien Gesellschaft Siegen

"Wir können mithilfe des Moduls die rechtlichen Vorgaben umsetzen, den Pflegedarf präzise ermitteln und unser Pflegebudget sichern, ohne die Kolleg*innen zusätzlich zu belasten."

Susanne Berghäuser, Leitung Projekt- und Applikationsmanagement, Marien Gesellschaft Siegen

Portrait Simon Berger, Thieme RECOM

"Das Modul hilft mit anschaulichen Darstellungen, den Pflegebedarf zu bewerten, die Ressourcen optimal einzusetzen und Über- oder Unterbesetzungen zu vermeiden."

Simon Berger, Senior Director Products & Projects, Member of the Management Board, Thieme RECOM

PPR 2.0 ist für jede Klinik beherrschbar

Die Integration des PPR-Moduls in die digitale Patientenakte RECOM-GRIPS im St. Marien-Krankenhaus Siegen zeigt, wie Kliniken die Anforderungen der PPR 2.0 erfüllen können – ohne ihr Personal zusätzlich zu belasten. Es ist dabei nicht notwendig, die gleichen Voraussetzungen wie in Siegen zu haben. Berger erklärt: „Allen Krankenhäusern ermöglichen wir eine effiziente und prüfsichere PPR-Erfassung – unabhängig davon, ob sie bereits eine digitale Patientenakte nutzen oder nicht. Wir bieten das Modul als eigenständige Lösung an und unterstützen Krankenhäuser mit individuellen Konzepten, ganz gleich, wo sie gerade stehen.“