Ab 1. Juli 2024 verbindlich
Zum 1. Januar 2023 ist das Gesetz zur Einführung der PPR 2.0 in Kraft getreten. Die neu angepasste Pflegepersonalregelung wurde im Rahmen eines Pretests durch den Deutschen Pflegerat (DPR) in etwa 44 Kliniken deutschlandweit erprobt. Nach wissenschaftlicher Prüfung durch ein unabhängiges Institut müssen jetzt alle anderen Krankenhäuser in Deutschland nachziehen.
Die PPR 2.0 ist eine Weiterentwicklung der bisherigen PPR? Was ist neu?
Wieteck: Die Pflegepersonalregelung, kurz PPR, wurde bereits in den 1990er-Jahren entwickelt. Nach ihrer Einführung 1993 wurde sie jedoch 1997 wieder ausgesetzt. Seitdem dienen die hier festgelegten Kriterien den Kliniken lediglich zur hausinternen Berechnung des Pflegepersonalbedarfs. Zudem nutzte der überwiegende Teil der Kalkulationshäuser die PPR. Sie diente ihnen als Grundlage für die Kostenberechnung entsprechend der Diagnosis Related Groups (DRG), zu der sie im Rahmen der Datenerhebung durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) angehalten sind.
Die PPR 2.0 verpflichtet die Einrichtungen nun von Gesetzes wegen dazu, ihre Patient*innen in eine von insgesamt 16 definierten Aufwandsgruppen einzustufen. Anhand dessen wird der zu erwartende Pflegeaufwand pro Patient*in für die gesamte Station beurteilt und das notwendige Personal beziffert. Ziel des Bundesministeriums für Gesundheit ist es, eine ausreichende Pflegepersonalbesetzung im Krankenhaus sicherzustellen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Die Beurteilungskriterien für die Einstufung wurden gegenüber der ursprünglichen PPR neu definiert. Aus bisher 9 wurden nun 16 Aufwandsgruppen. Gleiches gilt für die hinterlegten Zeitwerte. Zu einem Grundwert, der sich am Pflegeauf-wand der jeweiligen Patient*innen bemisst, wird jetzt ein zusätzlicher Fallwert pro Aufenthalt addiert. Damit werden beispielsweise die Personalaufwände für das Aufnahme- und Entlassungsmanagement abgedeckt. Als Nachtschicht gilt nun die Zeit zwischen 22 und 6 statt wie bisher ab 20 Uhr. Die Personalberechnung in der Nacht orientiert sich an der Pflegepersonaluntergrenze. Hier wird keine pflegerische Bedarfserhebung mithilfe der PPR 2.0 für die Patient*innen zugrunde gelegt.
Was bedeutet die Einstufung nach PPR 2.0 konkret im Klinikalltag?
Wieteck: Für jede und jeden Patient*in muss täglich anhand des zugrunde liegenden neuen Regelkatalogs ermittelt werden, welche Pflegeaufwandsgruppierung für ihre oder seine Versorgung eingeplant werden sollte. Hiermit wird der SOLL-Bedarf an Personal ermittelt. Eine gewissenhafte, realistische Beurteilung kostet jedoch Zeit und setzt voraus, dass Pfleger*innen mit den Einstufungskriterien vertraut sind. Für die Umsetzung der neuen PPR 2.0 müssten sie also zunächst geschult werden. Zu erwähnen ist, dass die vorgegebenen Einstufungskriterien der PPR sehr abstrakt und allgemein gehalten sind. Daraus ergibt sich ein breiter Interpretationsspielraum hinsichtlich der Zuweisung in die jeweiligen Aufwandskategorien.
Dr. rer. medic. Pia Wieteck
Wie können die Einrichtungen die PPR 2.0 denn dann einheitlich und effizient umsetzen?
Wieteck: Kliniken müssen ihre bisherige Pflegedokumentation in jedem Fall um die neuen PPR-Einstufungskriterien erweitern. Wer das analog, sprich ohne eine digitale Lösung versucht, wird schnell an seine Grenzen stoßen. Kliniken, die mit einer elektronischen Pflegedokumentation mit standardisierter Terminologie arbeiten, haben es sehr viel einfacher. Wenn sie dann noch den Regelkatalog der PPR 2.0 hinterlegen können, erfüllen sie die gesetzlichen Vorgaben, ohne dass sich das Pflegepersonal damit auseinandersetzen muss. In unserer digitalen Patientenakte RECOM-GRIPS bieten wir jetzt beides an.
Eine standardisierte Pflegedokumentation ist also der entscheidende Vorteil?
Wieteck: Und ob! Standards bieten Sicherheit, Transparenz und Planbarkeit. Der Vorteil unserer Dokumentation liegt in der dahinterliegenden einheitlichen Pflegefachsprache ENP (European Nursing care Pathways). Alle Nutzer*innen arbeiten mit den gleichen pflegerischen Konzepten zur Abbildung des Pflegeprozesses. Für jedes Pflegeproblem gibt es Pflegediagnosen, denen evidenzbasierte Pflegeziele und Pflegemaßnahmen zugeordnet sind. Das ermöglicht eine schnelle Pflegeprozessplanung. Für alle Interventionen sind bestimmte ENP-Zeitwerte sowie ab sofort ein PPR 2.0 Mapping hinterlegt. Letzteres erlaubt den Kliniken ab sofort, einen Pflegebedarfsplan nach den gesetzlichen Vorgaben (SOLL PPR 2.0) zu erstellen. Gleichzeitig können sie die durchgeführten Maßnahmen (IST) dokumentieren. Beides können sie hintenraus auf Knopfdruck miteinander vergleichen. Daraus ergeben sich wertvolle Daten, die Pflegecontrolling und -management für eine gute Personalplanung und -steuerung nutzen können.
Haben Kliniken bisher ihre SOLL- und IST-Planung nur intern zum Qualitätsmanagement genutzt, müssen sie diese in Zukunft auf Basis der PPR 2.0-Vorgaben öffentlich machen. An wen sie die Daten letztlich liefern, steht noch nicht fest. RECOM-GRIPS bietet jedoch in jedem Fall die Möglichkeit, die erforderlichen Reportings automatisiert auszuspielen. Die gesetzlich geforderten Auswertungen können hier ohne zusätzlichen Aufwand über die tägliche Pflegeprozessdokumentation ausgelöst werden. So profitieren Kliniken von den Vorteilen einer standardisierten Pflegeplanung und -dokumentation und werden gleichzeitig den neuen gesetzlichen Anforderungen gerecht.
Das Interview führte Catrin Hölbling, Thieme Communications