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DGIM würdigt jüdische Ärztinnen im Porträt

Grabstein auf einem jüdischen Friedhof

Stuttgart, Februar 2023 – Im Jahr 1933 zählte die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) 7 jüdische Ärztinnen zu ihren Mitgliedern. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgte ihr Ausschluss aus der Fachgesellschaft. Antisemitische Gesetze schränkten die Forschungs- und Berufstätigkeit der Medizinerinnen ein, sie wurden unterdrückt, entrechtet, verfolgt und ins Exil gedrängt. In einem Beitrag in der „DMW – Deutsche Medizinische Wochenschrift“ (Georg Thieme Verlag, 2022) würdigt die DGIM jetzt das Leben und Wirken dieser Frauen, um sie ins Gedächtnis zu rufen und ihnen Sichtbarkeit zu verleihen. Ein Team aus Historiker*innen und Mediziner*innen hat die Biografien der Internistinnen aufgearbeitet. Die Forschungsarbeit ist Teil des Projekts „DGIM – Gedenken und Erinnern“, in dem sich die Fachgesellschaft kritisch mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus auseinandersetzt.  

Rahel Hirsch, Charlotte Cohn-Wolpe, Gertrud Samson, Lotte Friedmann, Lisbeth Auerbach, Margot Goldschmidt und Hanna Strauss, das sind die Namen der jüdischen Internistinnen, deren Lebensleistungen bekannt gemacht und dadurch gewürdigt werden. Ihrer zu erinnern bedeutet verstehen: Verstehen, welchen Repressalien jüdische Ärztinnen und Ärzte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ausgesetzt waren. Verstehen, wie Verfolgte an der Unterdrückung, Entrechtung und Vertreibung zerbrochen sind. Aber auch verstehen, mit welcher Willensstärke viele von ihnen ihre medizinische Tätigkeit im Exil erfolgreich fortsetzten. Das zeigen 3 der im Folgenden näher beschriebenen Biografien.

Erste Medizinprofessorin Preußens stirbt verarmt in London

Rahel Hirsch zählt zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den bekanntesten und erfolgreichsten Ärztinnen in Deutschland. Als sich die Frankfurterin 1898 für ein Medizinstudium an der Universität Zürich einschreibt, war es Frauen in Deutschland noch verboten Medizin zu studieren. In Straßburg erhält sie 1903 ihre deutsche Approbation und promoviert mit ihrer Arbeit zur Glykolyse, dem Abbauprozess von Glucose.

Anschließend findet Rahel Hirsch eine Anstellung an der Berliner Charité und wird dort wissenschaftlich tätig. Sie kann nachweisen, dass deutlich größere Zuckerpartikel als bisher angenommen durch die Schleimhaut des Dünndarms ins Blut eintreten und über den Harn ausgeschieden werden können. „Eine angemessene Würdigung dieser bedeutenden Erkenntnis, wurde Rahel Hirsch leider erst nach ihrem Tod zuteil, als man den Effekt 1957 erneut experimentell nachwies und nach ihr benannte“, erklärt Vina Zielonka, Ärztin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Obwohl sich Rahel Hirsch als Frau in Deutschland nicht habilitieren kann, erhält sie 1913 als erste Ärztin in Preußen den Professorentitel für ihre wissenschaftlichen Leistungen. 1919 scheidet sie aus der Charité aus und lässt sich als Internistin nieder. „Rahel Hirsch setzte sich zeitlebens für die Rechte von Frauen ein. Sie gilt als Vordenkerin einer geschlechtsspezifischen gesundheitlichen Beratung und plädierte für die Überwindung klassischer Rollenbilder“, so Vina Zielonka.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verliert Rahel Hirsch schrittweise die Berechtigung als Ärztin zu praktizieren. 1938 flieht die mittlerweile 68-jährige Internistin nach London. Sie verzichtet auf die englische Approbation, für die sie erneut Examina ablegen müsste. Die Exilsituation und die Aberkennung ihrer ärztlichen Zulassung belastet sie auch emotional schwer, wodurch sie psychisch erkrankt und im Alter von 83 Jahren verarmt in einem „Mental House“ stirbt.

Heute erinnern unter anderem eine Gedenktafel und eine Bronzeplastik auf dem Gelände der Berliner Charité sowie ein Stipendium, das in ihrem Namen vergeben wird, an Rahel Hirsch und ihr Schicksal.

Zwischen Erfolg und Verzweiflung

Lotte Friedmann stammt aus einer bekannten Arztfamilie und beginnt nach ihrem Abitur 1921 ein Medizinstudium in Heidelberg. 6 Jahre später promoviert sie mit ihrer Arbeit über den Einfluss vegetativer Nerven auf den Sauerstoffverbrauch des Herzens. Ihre Dissertation wird mit sehr gut bewertet und veröffentlicht. Nach dem Erhalt ihrer Approbation arbeitet Lotte Friedmann in Kliniken in Bonn, Frankfurt am Main und Hamburg-Altona. 1932 qualifiziert sie sich als Fachärztin für Innere Medizin und wird im November als Kassenärztin in einer Praxis in Villingen tätig.

Die antisemitische Gesetzgebung ab 1933 markiert einen Bruch in der bis dato erfolgreichen Biografie der jungen Internistin. Lotte Friedmann verliert 1935 ihre Zulassung als Ärztin und lässt sich als Lehrschwester am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg anstellen. Dort arbeitet sie als Krankenschwester, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dass sie nicht mehr als praktische Ärztin arbeiten kann, belastet Lotte Friedmann psychisch stark. Sie begibt sich mehrfach in stationäre Behandlung, bevor sie sich am 24. Februar 1939 das Leben nimmt.

Im Exil erfolgreich bis ins hohe Alter

Hanna Lange wächst in Straßburg auf und immatrikuliert sich nach einer einjährigen Tätigkeit als Krankenschwester an der Straßburger Universität für ein Medizinstudium. 1924 promoviert sie an der Medizinischen Klinik in Frankfurt am Main, in der sie bis 1925 als Assistenzärztin angestellt ist. Sie heiratet den Kaufmann Max Benjamin Strauss und praktiziert als Hanna Strauss bis 1937 weiterhin als Ärztin. Auch sie leidet unter den Repressalien des nationalsozialistischen Regimes, die sie zu der Entscheidung zwingen, Deutschland zu verlassen. Ende 1938 entscheidet sich Hanna Strauss für die Flucht ins amerikanische Exil.

In New York baut sie sich eine neue Existenz auf. Nach Erhalt ihrer Zulassung als Ärztin absolviert Hanna Strauss eine Facharztausbildung für Psychiatrie und praktiziert anschließend von 1946 bis 1964 im Creedmore State Hospital in Queens. 1957 heiratet die Psychiaterin erneut und nimmt den Nachnamen ihres zweiten Ehemannes Henry Frederick Pindar an. Nach ihrer Verabschiedung in den Ruhestand beginnt Hanna Pindar zu reisen und besuchte zahlreiche internationale Medizin- und Psychotherapiekongresse in Frankreich, Japan, Israel und anderen Ländern. Ihre Arbeit als Psychiaterin führte sie in einer kleinen privaten Praxis in New York, bis ins hohe Alter von 92 Jahren fort. 1993 verstirbt Hanna Pindar im Alter von 99 Jahren.

Verstehen lernen und Sichtbarkeit schaffen 

Die dargestellten Schicksale der jüdischen Internistinnen stehen exemplarisch für all jene Ärztinnen, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme unterdrückt, entrechtet, verfolgt und ins Exil gedrängt wurden. Sie unterscheiden sich darin nicht von ihren männlichen Kollegen, doch wurden sie auch in der DGIM bislang kaum sichtbar.

„Diesen Ärztinnen Sichtbarkeit zu verleihen und zu einer informierten und verantwortungsbewussten Erinnerungskultur beizutragen, ist Anliegen unserer Forschungsarbeit“, berichtet Vina Zielonka.

V. Zielonka et al.:
Gegen das Vergessen: Jüdische Ärztinnen der deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Porträt
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2022; 147 (24/25); S. 1596 – 1604
DOI: 10.1055/a-1893-9892