Beim sogenannten Female Genital Mutilation/Cutting (FGM/C) werden Mädchen und jungen Frauen die äußeren Genitalien wie Klitoris und Schamlippen ganz oder teilweise entfernt – meist ohne Narkose und unter schlechten hygienischen Bedingungen. „Mindestens 20 000 Betroffene sterben jährlich durch Verbluten oder eine Sepsis“, erklärt die Vorstandsvorsitzende des Kinderhilfsorganisation PLAN international, Petra Berner, im Editorial der aktuellen Ausgabe der „Pädiatrie up2date“.
Anamnese: Einfühlsam und kultursensibel vorgehen
Auch Kinderärzte und -ärztinnen hierzulande sehen in ihren Praxen betroffene Mädchen. Nicht immer haben sie Beschwerden, und nicht immer erinnern sie sich an den Eingriff. „In den Herkunftsländern der Betroffenen ist die FGM oft eine Grundlage für die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen, und gilt als Voraussetzung für eine Heirat“, erklärt der Autor des Fortbildungsbeitrags Jörg Müller, Leitender Oberarzt an der Frauenklinik des Klinikums Stuttgart. In vielen Teilen Afrikas gelte FGM von staatlicher Seite als Menschenrechtsverletzung, in manchen lokalen Gemeinschaften wird sie aber immer noch als positive soziale Norm bewertet. Im Rahmen einer einfühlsamen und kultursensiblen Anamnese sollten deshalb keine Äußerungen von Schock oder gar Ekel gegenüber den Betroffenen erfolgen. Auch sei im direkten Gespräch mit ihnen der Begriff der Genitalbeschneidung (FGC), dem der Genitalverstümmelung (FGM) vorzuziehen, um eine Stigmatisierung zu vermeiden.
Aufklärung über seelische und körperliche Folgen
Gleichzeitig ist es wichtig, dass Medizinerinnen und Mediziner mit Betroffenen und deren Angehörigen über die schwerwiegenden Folgen der Beschneidung sprechen. Neben psychischen Traumata kann es infolge der Narbenbildung und/oder durch ein Vernähen der Scheidenöffnung zu Menstruationsbeschwerden kommen. Geschlechtsverkehr ist für die Frauen, wenn überhaupt, nur eingeschränkt und mit Schmerzen möglich. Je nach Schwere der Verstümmelung verlängert sich bei der Geburt die Austreibungsphase, was ein gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind darstellt.
Mögliche Behandlungsansätze
Je nach Schwere der Gewebe- und Funktionsverletzung des Geschlechtsorgans sind verschiedene Therapieoptionen möglich. Eine Defibulation, eine operative Wiedereröffnung des Scheideneingangs, kann in der Regel von Gynäkologen durchgeführt werden. Grundsätzlich ist ein solcher Eingriff vor Eintritt einer Schwangerschaft am günstigsten, um Risiken von Infektionen mit darauffolgenden Frühgeburtsbestrebungen zu vermeiden.
Sofern Patientinnen über chronische Narbenschmerzen und Sensibilitätsverlust klagen oder sich eine Rekonstruktion der äußeren weiblichen Genitalien wünschen, ist die Überweisung in spezialisierten Zentren mit entsprechender Expertise notwendig.
Quelle:
J. Müller
Weibliche Genitalverstümmelung
Pädiatrie up2date 2023; 18 (3); S. 225-243
DOI: 10.1055/a-1719-4388
Anlässlich des Welt-Mädchentages erscheinen in der Thieme Fortbildungszeitschrift „Pädiatrie up2date“ Beiträge zu wichtigen Gesundheitsthemen, die ausschließlich oder auch Mädchen betreffen. So legt ein Artikel stressbezogene Einflüsse bei jungen Mädchen mit Depressionen und Kopfschmerzen dar. Des Weiteren sind Fortbildungsbeiträge zu sexuell übertragbaren Infektionen bei Kindern und Jugendlichen sowie Varianten der Geschlechtsentwicklung (hier lesen) Thema. Eine Übersicht der Beiträge finden Sie hier.