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Das stille Leid der Einsamkeit

Sitzende Figur mit auf den Knien aufgestützten Armen

Stuttgart, Dezember 2022 – Gemeinsam oder einsam? Die bevorstehende Advents- und Weihnachtszeit ist geprägt von der Vorstellung des Feierns im Kreise von Familie und Freunden. Für einsame Menschen gestalten sich die Wochen bis zum Fest und über die Feiertage besonders schlimm. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Einsamkeit liefert jetzt die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift „PiD – Psychotherapie im Dialog“ (Georg Thieme Verlag, 2022). Expert*innen aus Psychotherapie und Medizin berichten über Risikofaktoren, seelische und körperliche Folgen von Einsamkeit sowie ihre Ausprägung in unterschiedlichen Lebensphasen und -situationen: von der Kindheit bis zum Alter, bei pflegenden Angehörigen oder bei einer vorliegenden Depression.  

Die Ergebnisse des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2013 und 2017 legen nahe, dass in den beiden Jahren etwa 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen zumindest manchmal einsam waren. Während der Corona-Pandemie nahmen diese Einsamkeitsgefühle weiter zu. Im SOEP 2021 gaben rund 42 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen an, sich einsam zu fühlen, so das Bundesfamilienministerium auf seiner Internetseite. Die Politik möchte dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung begegnen und startete daraufhin im Sommer dieses Jahres eine Strategie gegen Einsamkeit. Wie drängend das Problem ist, zeigt auch die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift „PiD“.

Einsam oder allein?

Wissenschaftlich wird Einsamkeit als wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen definiert. Im Gegensatz zum Alleinsein ist Einsamkeit kein selbst gewählter Zustand. Einsame nehmen die Qualität ihrer sozialen Beziehungen, aber auch sich selbst als unzureichend wahr: „Betroffene erleben sich in verschiedener Hinsicht als defizitär und sehen keine Chance, den Zustand mit eigenen Ressourcen zu ändern“, berichtet Thomas Hax-Schoppenhorst in der aktuellen Ausgabe der „PiD“. Armut, Migrationshintergrund, seelische und körperliche Erkrankungen sowie eine intensive Social-Media-Nutzung, die unmittelbare Kontakte ersetzt, erhöhen laut Hax-Schoppenhorst das Risiko zu vereinsamen in besonderem Maß. 

Risikofaktoren für Einsamkeit

Von Armut betroffene Menschen besuchen seltener andere und empfangen umgekehrt weniger Gäste als finanziell gut gestellte. Der Verlust des Arbeitsplatzes beispielsweise verändert die Zusammensetzung des Freundeskreises. „Nach längerer Zeit in Armut, gehören beispielsweise weniger Menschen mit einem festen Arbeitsplatz dazu“, erklärt Hax-Schoppenhorst. Dadurch nimmt das Gefühl, sozial ausgegrenzt zu sein, zu.

Auch unter Menschen mit direktem Migrationshintergrund, die im Ausland geboren sind und jetzt hier leben, sei der Anteil der von Einsamkeit Betroffenen mit 15 Prozent besonders hoch. Anders als ihre Kinder arrangieren sich Migrant*innen der ersten Generation häufig weniger gut mit der hiesigen Kultur. Zudem nehmen sie im Vergleich zur deutschen Bevölkerung erst sehr spät psychotherapeutische Hilfsangebote wahr.

Menschen mit (chronischen) körperlichen Erkrankungen nehmen meist weniger an sozialen Aktivitäten teil. Nicht selten fühlen sie sich im Vergleich zu Gesunden als nicht „voll funktionsfähig“. „Das führt zu Rückzug“, so Hax-Schoppenhorst. Psychisch Erkrankte scheuen eine offensive Kontaktsuche und pflegen oft Kontakt zu ebenfalls Erkrankten. Insgesamt erschwere die Stigmatisierung seelischer Erkrankungen die soziale Teilhabe, ist sich der Experte sicher.

Über die einsamkeitsverstärkende Wirkung durch die Nutzung sozialer Medien wird hingegen kontrovers diskutiert. Das Einsamkeitsrisiko steigt jedoch, wenn die Social-Media-Nutzung die Gesamtheit der Kontakte ausmacht und Begegnungen „face to face“ fehlen.

Je größer die Einsamkeit desto höher der Blutdruck

Die körperlichen Folgen von Einsamkeit werden insbesondere in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen sichtbar. So zeigen Untersuchungen in Abhängigkeit vom Ausprägungsgrad der Vereinsamung graduell systolische Blutdruckanstiege um jeweils 5 mmHg. „Vereinfachend lassen sich diese Ergebnisse auf die provokante Formel bringen: Je größer die Einsamkeit desto höher der Blutdruck“, berichtet Dr. med. Roland Prondzinsky. Umfassende Metaanalysen von Patientendaten zeigen zudem, dass Einsamkeit das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall um 29 beziehungsweise 32 Prozent erhöht. Damit erhöht Einsamkeit das Risiko in etwa so wie Rauchen, Angst oder Arbeitsstress. Der Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie plädiert deshalb dafür, Einsamkeit mehr als bisher in der kardiovaskulären Risikoabschätzung mitzudenken. Nehmen Menschen aufgrund ihrer Einsamkeit psychotherapeutische Hilfe in Anspruch, sollten Therapierende eine ärztliche Abklärung möglicher Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfehlen.

Einsamkeit kann jeden treffen! Aber was hilft?

Weitere Beiträge des Schwerpunktheftes widmen sich der Einsamkeit in verschiedenen Lebenssituationen von der Kindheit bis zum Totenbett. Darüber hinaus werden ein internetbasiertes Selbsthilfeprogramm zur Reduktion chronischer Einsamkeit vorgestellt sowie die Spezialsprechstunde „Einsamkeit“ der LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum.

PiD - Psychotherapie im Dialog 23 (4)
Einsamkeit
DOI: 10.1055/s-012-55737


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