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Mehr Unterstützung für pflegende An- und Zugehörige dringend notwendig

Blauer Stempelabruck mit dem Text Pflege von Angehörigen

Stuttgart, Februar 2024 –  2021 belief sich die Zahl pflegebedürftiger Menschen hierzulande auf 4,96 Millionen. 84 Prozent von ihnen wurden zuhause versorgt, so das Statistische Bundesamt. Oft übernehmen An- oder Zugehörige ihre Betreuung. Ein Online-Supplement der Thieme Fachzeitschrift „Das Gesundheitswesen“ widmet sich in sechs Originalbeiträgen den Herausforderungen, mit denen Pflegebedürftigkeit im Alter verbunden ist. Dazu gehört unter anderem die Belastung pflegender – meist weiblicher – Angehöriger. Um pflegen zu können, treten sie oft beruflich kürzer oder geben ihre Erwerbstätigkeit auf. Gleichzeitig nutzen viele der Pflegenden vorhandene Unterstützungsangebote nicht. Ein bedürfnisgerechter Ausbau der Entlastungsangebote sei deshalb dringend notwendig, so die Herausgebenden, Priv. Doz. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Anna Pendergrass und Prof. Dr. med. Elmar Gräßel vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung in Erlangen. 

Insbesondere Frauen geben ihren Beruf für die Pflege eines Angehörigen auf

Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend pflegen rund 2,5 Millionen An- und Zugehörige neben ihrer Erwerbstätigkeit pflegebedürftige Menschen. Beides gleichzeitig ist oft einfach zu viel, wie die Studie der Erlanger Wissenschaftler*innen zeigt. Knapp 23 Prozent der Betroffenen reduzierten ihre Arbeitszeit, rund 11 Prozent gaben sie sogar ganz auf. Insbesondere Frauen, das belegt einer der Beiträge deutlich, beenden ihre Erwerbstätigkeit. „Das Geschlecht ist damit der bedeutendste Risikofaktor für die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit“, erklären Pendergrass und Gräßel, die gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlerinnen die Beiträge für das Online-Supplement verfasst haben. 

Die Reduktion oder Beendigung der Erwerbstätigkeit habe persönliche und gesamtgesellschaftliche Konsequenzen, so die Herausgebenden: „Der Ausstieg aus dem Beruf ist nicht nur mit finanziellen Einbußen für die Betroffenen verbunden. Ihr Ausscheiden bedeutet auch einen Verlust für den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Deutschland.“

Diskrepanz zwischen beabsichtigter und tatsächlicher Nutzung von Hilfeangeboten

Gleichzeitig zeigt sich, dass pflegende An- und Zugehörige ambulante Unterstützungsangebote oft nicht wahrnehmen, obwohl der Wunsch danach besteht. Diese Erkenntnis beruht auf einer repräsentativen Stichprobe von Pflegenden, die eine gesetzlich versicherte Person zu Hause pflegten und die beim MD Bayern entweder einen Erstantrag oder einen Antrag auf Erhöhung des Pflegegrads nach Sozialgesetzbuch XI gestellt hatten. Bei der von den Erlanger Wissenschaftler*innen durchgeführten Befragung konnten die pflegenden An- und Zugehörigen angeben, ob sie einen ambulanten Pflegedienst, eine Haushaltshilfe, Tagespflege, Essen auf Rädern, einen Fahr- oder Betreuungsdienst, 24-Stunden-Betreuung oder eine Betreuungsgruppe in Anspruch nehmen. 

Die Auswertung ergab, dass lediglich 1,7 Prozent eine Betreuungsgruppe nutzten. Den höchsten Zuspruch fand der ambulante Pflegedienst mit 38,4 Prozent. Über 40 Prozent der Befragten nahmen jedoch keines der acht abgefragten Angebote wahr. Gleichzeitig äußerten jedoch 72 Prozent von ihnen den Wunsch, zukünftig mindestens eines davon nutzen zu wollen. 

Ausbau ambulanter Angebote ist dringend erforderlich

„Der Wunsch nach Unterstützung durch ambulante Entlastungsangebote ist deutlich höher als die tatsächliche Inanspruchnahme. Es ist dringend notwendig, die Gründe dafür zu erforschen, warum ‚Wunsch und Wirklichkeit’ so sehr auseinandergehen. Daraus können dann wirksame Strategien abgeleitet werden, An- und Zugehörige bedarfsgerecht zu unterstützen“, so Pendergrass und Gräßel. Nur so könne in Zukunft sichergestellt werden, dass häusliche Pflege ins Lebenskonzept von pflegenden An- und Zugehörigen passt. „Auf jeden Fall müssen ambulante Angebote in den nächsten Jahren massiv ausgebaut und deren Finanzierung gesichert werden. Nur so kann der bereits jetzt vorhandene Wunsch nach Unterstützung gedeckt und die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und häuslicher Pflege ermöglicht werden. Es geht um nichts weniger als die Sicherstellung der Versorgung von Pflegebedürftigen in ihrer häuslichen Umgebung“, erklären sie abschließend.

Zur Datengrundlage:
Sämtliche Beiträge beruhen auf einer Sekundäranalyse von Daten, die im Rahmen der von der G. u. I. Leifheit-Stiftung geförderten Studie „Benefits of Being a Caregiver“ erhoben wurden. Für diese Querschnittsstudie hatten 50 Pflegegutachtende des Medizinischen Diensts (MD) Bayern zwischen Oktober 2019 und März 2020 insgesamt 5.000 Fragebögen an pflegende An- und Zugehörige – repräsentativ für das Bundesland Bayern – verteilt. Die Auswertung erfolgte am Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, Bereich Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Psychiatrische Universitätsklinik Erlangen. Ziel des Forschungsprojekts war die Entwicklung eines Fragebogens zur Messung des „Zugewinns des Pflegenden durch die häusliche Pflege“. Die im Rahmen der Befragungsstudie erhobenen Daten wurden für das Supplement im Hinblick auf die häusliche Pflege- und Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen und ihrer An- und Zugehörigen neu ausgewertet.